Freitag, 29. Januar 2010

Am Samstag, dem 13. Februar 2010

... demonspazieren wir wieder für das bedingungslose Grundeinkommen. Wir treffen uns um 12 Uhr im Café Kotti am Kottbusser Tor oder, wenn viele kommen, unterhalb des Cafes auf dem Platz. Das Kotti befindet sich im ersten Stock des Zentrums Kreuzberg.


Wir spazieren jeden Monat am zweiten Samstag mit Plakaten und Trillerpfeifen durch die Stadt und führen dabei Gespräche. Das Grundeinkommen wird von nicht wenigen diskutiert, die meisten aber kennen es entweder nicht oder sind dagegen oder sind in zu tiefer politischer Resignation versunken, um diese oder andere Ideen noch ernst zu nehmen. Es scheint uns daher richtig, solche Gespräche in kleinen Gruppen zu führen, um zur Verbreitung der Idee und der Überwindung einer politischen Stagnation beizutragen.

Und wenn es irgendwann genügend viele Anhänger der Idee gibt, werden sich diese auch in einer wirklichen und großen Demonstration zeigen können. (Es gibt eine Mailingliste, die zu einer Großdemonstration einladen wird, sobald sich 100000 eingetragen haben.)

Warum ein bedinungsloses Grundeinkommen? Jeder hat ein bedingungloses Recht auf Leben, Nahrung, Kleidung, Wohnung, Bildung, das er hier nur mit einem Einkommen wahrnehmen kann. Dennoch wird jetzt ein Einkommen an Bedingungen geknüpft. Wer nicht von einer Lohnarbeit leben kann, erhält die staatliche Unterstützung nur dann in voller Höhe, wenn er die Vorschriften der Arbeitsagentur akzeptiert (Maßnahmen, 1-Euro-Jobs). Auch ist diese Unterstützung keineswegs auf eine volle "Teilhabe" der Empfänger am gesellschaftlichen Leben ausgelegt, sondern "soll" einen Bestrafungscharakter haben, denn ein jeder "soll" seinen Lebensunterhalt ja durch Arbeit verdienen, auch wenn es nicht genug Lohnarbeit für alle gibt.
Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen werden Rechte eingefordert, die das Grundgesetz und die europäische Menschenrechtserklärung uns zusichern.

Viel Lohnarbeit ging durch Rationalisierung verloren. Die Produktion ist gewachsen, mit ihr aber nicht die Nachfrage nach Arbeitskräften. Andererseits gibt es in vielen Bereichen wichtige Arbeit, die ehrenamtlich geleistet wird. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens läuft auf die teilweise Abkopplung von Arbeit und Einkommen hinaus. Das schließt aber eine Ausweitung des öffentlichen Dienstes, eine allmähliche Umwandlung vieler ehrenamtlicher Tätigkeiten in Lohnarbeit, eine gesetzliche Begünstigung von Teilzeitarbeit etc. nicht aus. Wir glauben nicht, dass das bedingungslose Grundeinkommen das Patentrezept ist, das alles übrige der marktwirtschaftlichen Selbstorganisation überlässt. (Manche Vertreter des bedingungslosen Grundeinkommens stellen sich so etwas vor.)

Manche der Grundrechte können besser direkt gewährleistet werden, etwa die Gesundheitsversorgung. Die gegenwärtig geplante Umstellung der Krankenkassenbeiträge auf Kopfpauschalen wird auf Dauer entweder die Gebühren für die Ärmeren erhöhen und deren Spielräume weiter beschneiden oder dazu führen, dass die gesetzlichen Krankenkassen für weniger Leistungen aufkommen. Beides sollte sich eine solidarische Gesellschaft nicht wünschen. Wenn man die Rechte auf Leben und Gesundheit ernst nimmt, wird man dagegen das System einer solidarischen Versicherung stärken. Dass im Gesundheitssektor emarktwirtschaftliche Strukturen keineswegs "Kosten senken", beweisen die USA.

Die Gesundheitsversorgung würde man also auf eine Liste schreiben, auf der die Güter stehen, die direkt und nicht über eine Grundeinkommen gewährleistet werden sollten. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde zusammen mit solchen direkt gewährleisteten Rechten den Einzelnen eine Gestaltung des eigenen Lebens ohne überflüssige Angst ermöglichen. Jeder könnte sich für oder gegen eine bestimmte Arbeit entscheiden, zusammen mit anderen für andere Arbeitsbedingungen streiten, sich ehrenamtlich oder politisch betätigen, ohne fürchten zu müssen, dafür bestraft zu werden. Gerade eine sich demokratisch verstehende Gesellschaft sollte sich soviel Freiheit wünschen. Ja, es geht bei gesellschaftlicher Solidarität auch um Freiheit, denn die Freiheit des Einzelnen hat Bedingungen, die über bloße Schutzrechte hinausgehen. Wir haben bei unseren Demospaziergängen auch schon 'Liberale' getroffen, die nur Schutzrechte, aber keinerlei soziale Rechte akzeptieren, nach Art Robert Nozicks. Die Funktion des Staates wäre demnach der polizeiliche Schutz des Eigentums und des Lebens, und basta. In solchem 'Liberalismus' wird von den Bedingungen konkreter Freiheit schon gar nichts mehr verstanden. Freiheit braucht Solidarität.

Wir rennen mit solchen Ideen keine offenen Türen ein. Gerade jetzt wird diskutiert, die Sanktionen für Hartz IV-Empfänger zu verschärfen und Arbeitszwang einzuführen (etwa jüngst Roland Koch in einem Artikel in der FAZ. Koch befürwortet schon länger "workfare", siehe auch hier über den Zusammenhang des "workfare"-Konzepts mit der Entmündigung von Armen in "Arbeitshäusern" ). Dahinter steht die Doktrin, Grund für Arbeitslosigkeit oder Armut sei allemal persönliches Versagen. Viele würden es sich mit wenigen Stunden Arbeit für ein paar Hundert Euro und Aufstockungs-Hartz-IV einrichten, so eine der Thesen Kochs. Er weiß aber, muss wissen, dass mit 5 Euro Stundenlohn 400 Euro einer halben Stelle entsprechen. Wer mit einer halben Stelle Hartz IV bekommt, wäre mit einer vollen Stelle immer noch arm. Die groteske Ungleichheit der Löhne rechtfertigt Koch durch Bildung oder Qualifikation. Wo aber auf einem Planeten, der Fähigkeiten gerecht zu bewerten wüsste, Roland Koch stünde, sei dahingestellt. Immer wieder hören wir auch bei unsere Spaziergängen den Quatsch, es komme nur auf Bildung und Qualifikation an. Aber selbst wenn alle Doktoren wären, gäbe es das am wenigsten qualifizierte Drittel der Doktoren, und die müssten dann für wenig Geld die Klos putzen. Es poltern nicht alle wie Koch, im Gegenteil, man antwortet ihm mit unverbindlichen Bekundungen sozialer Natur. Dennoch ist zu fürchten, dass die 'Reform der Reform' mehr Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger bedeuten wird. Denn weit über die FDP hinaus ist der Irrglaube, es sei allein das Individuum für seine Lage verantwortlich, verbreitet - und damit auch eine Abneigung gegen jede Art von Umverteilung. Die 'Reform' unseres Gesundheitswesens kann ein weiterer Schritt zu einer Privatisierung werden, wieder auf Kosten der Armen. Und so etwas wird die Schwelle für ein wirklich befreiendes Grundeinkommen weiter erhöhen. Es gibt, von Sonntagsreden abgesehen, keinen Konsens über die Würde des Menschen. Es wird Zeit, dass sich wieder ein kämpferischer Geist verbreitet, sonst wird es nicht nur kein Grundeinkommen, sondern immer Schlimmeres für die Ärmsten geben.

Freitag, 15. Januar 2010

Arbeitshaus und Hartz IV

Ein Kommentator, der sich "BWL-Student" nennt, hat sich auf meinen letzten Post mit einer These zu Wort gemeldet, die zwar falsch ist, aber erschreckend viele Anhänger hat:

Wer keine Arbeit hat, sei faul, versoffen oder anderweitig lasterhaft. Man solle "solche Leute" nicht unterstützen (oder nur auf dem Niveau, sie nicht verhungern zu lassen), dann suchten sie sich auch Arbeit. Der Staat spare Geld, die "Leistungsträger" verdienten mehr, es gebe mehr Arbeit. Daran ist so ziemlich alles falsch, aber es nicken nicht wenige, die sich für Leistungsträger halten, selbst wenn sie etwa durch ihr Investment-Banking Arbeitsplätze zerstört haben. (Ich meine damit nicht nur, dass die These unsittlich sind, sondern vor allem, dass sie faktisch falsch ist, sowohl was die Volkswirtschaft betrifft, als auch, was die Beschreibung der Menschen angeht. Für unsittlich halte ich sie im übrigen auch.) Bei unseren Demospaziergängen werden wir mit allen möglichen Varianten dieser These konfrontiert.

Die eigentliche Schande ist, dass es anscheinend keine Schande ist, derlei zu sagen. Das Vokabular ist meist so gewählt, dass es positiv klingt: "Leistungsträger", "Aktivieren", etc. Man kann in der "Mitte der Gesellschaft" dafür plädieren, die Menschenwürde mit Füßen zu treten, allein man darf es nicht so nennen.

Wer so denkt, lehnt ein bedingungsloses Grundeinkommen selbstverständlich ab und findet Hartz IV noch zu großzügig. Ja, kann man denn wirklich so denken?, frage ich mich immer wieder, einigermaßen fassungslos. Ich hätte ein solches Menschenbild für überwunden und einen solchen 'Marktliberalismus', der auch die Menschen als bloße Waren betrachtet, für widerlegt gehalten. Nichts aber ist je endgültig widerlegt. Mir fiel etwa die Ähnlichkeit zwischen Arbeitshäusern und modernen Konzepten ("workfare", "Fördern und Fordern") auf: Wer mag, kann das hier (Link) nachlesen. Es kann nichts schaden, zu wissen, wie die Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens klingen. Das vergisst man nämlich leicht, wenn man vor allem mit dessen Befürwortern spricht.

Montag, 11. Januar 2010

Bericht & Materialien

Im Schneegestöber, am Samstag dem 9. 1. 2010, hielten wir es nur eine Stunde aus. Unsere Gesprächspartner hatten es noch eiliger, zum warmen Ofen zurückzukehren. Einige Gespräche gab es immerhin, wenn auch zum Teil bizarre. Eine alte Frau wünschte sich, "dass der Hitler wiederkäme", um uns Vollbeschäftigung und Sicherheit zu bringen. Ob sie denn auch Krieg, Massenmord und Rassismus wolle? Nein, ohne das, aber mit Hitler. Sie meint also gar nicht den wirklichen Hitler. Einer von uns hielt das Gespräch mit dieser Frau für sinnlos, mir aber scheint es richtig, mit jedem zu reden und dieses Urteil erst nach dem Gespräch zu fällen. Da sie noch am Leben ist, kann sie ihre Meinung ändern und statt einer rechtsextremen Partei etwa eine wählen, die die Würde aller Menschen ernst nimmt und dazu ein Grundeinkommen für geeignet ansieht. Nur, dass es diese Partei nicht gibt.

Ansonsten auch wieder positive oder wenigstens neugierige Reaktionen.

Aber, wie gesagt, insgesamt mehr ein Schneetag als ein Schwatztag. Eilig an uns vorbeihuschend sagte eine junge Frau "Ich studiere BWL. Mich kriegt ihr mit sowas nicht." Kriegen? Mit sowas? Wollten wir etwa sozialistische Waschmaschinen loswerden? Ohne Schnee hätten wir noch etwas einwenden können, aber sie war im Nu in weißlichen Wirbeln verschwunden.

Morgen, am Dienstag den 11. Januar, um 20 Uhr, sitzen einige von uns im Cafe Kotti (vom Kottbusser Tor Richtung Adalbertstraße blickend, sieht man das Cafe links im ersten Stock des 'Zentrum Kreuzberg' genannten Betonriegels, der der die Adalbertsraße überspannt.) Wenn also etwa eine oder einer von denen, mit denen wir gesprochen haben, über das Grundeinkommen und anderes reden möchte: Das wäre eine Gelegenheit.


Im Anhang die Flugblätter, die wir verteilen:

------------------------------------ Das lange Flugblatt:

GRUNDEINKOMMEN FÜR ALLE

Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen?

Die Arbeitsproduktivität in Landwirtschaft und Industrie ist im vergangenen Jahrhundert enorm gestiegen und steigt noch immer. Nur ein Bruchteil der menschlichen Arbeitszeit versorgt bereits alle Menschen mit Gütern. Die moralische Verpflichtung, durch die eigene Arbeit einen Beitrag zur Güterproduktion zu leisten, hatte in Zeiten des Mangels einen Sinn. Jetzt aber haben die Maschinen diesen Mangel in vielen Bereichen überwunden. Ein Landwirt in einem Industrieland vesorgt Hunderte von Menschen mit Nahrungsmitteln. Immer mehr Menschen arbeiten in Dienstleistungsberufen, die nicht so leicht einer Rationalisierung zum Opfer fallen. Aber es gibt auch nicht genügend viele bezahlte Dienstleistungen. Vollbeschäftigung ist in Industriegesellschaften die Ausnahme, nicht die Regel. Wenn Politiker Vollbeschäftigung in Aussicht stellen, so meinen sie, wenn sie überhaupt etwas damit meinen, jedenfalls keine reguläre, anständig bezahlte Arbeit.

Ob man nun die durch Rationalisierung verlorengegangenen Arbeitsplätze beklagt oder nicht, sie bleiben verschwunden, und es ist widersinnig, einem, der keiner Erwerbsarbeit nachgeht, dies zu Vorwurf zu machen, wenn seine Erwerbsarbeit nicht gebraucht, er aber durchaus gebraucht wird als Freund seiner Freunde, Erzieher seiner Kinder, politisch bewusster Bürger, der nicht bloß Stimmvieh sein will, und die Zeitung liest, um etwas zu verstehen. Viele sinnvolle Tätigkeiten taugen derzeit nicht zur Erwerbsarbeit, etwa armen Rentnern etwas vorzulesen. Viele, auch Arbeitslose, tun so etwas freiwillig und unentgeltlich. Wer Hartz IV empfängt, darf allerdings auch nicht mehr als eine gewisse Zahl von Stunden ehrenamtlich arbeiten, da er ja sonst dem Arbeitsmarkt, der ihn nicht will, nicht genügend zur Verfügung stünde.

Und der Müßiggang selbst ist natürlich auch kein Laster, wenn die Maschinen den Menschen geholfen haben, den Mangel zu überwinden. Und ebensowenig wäre er für einen freien Menschen der Laster Anfang. Wer aber jetzt arbeitslos wird, fühlt sich gar selbst minderwertig. Die Menschheit hat sich durch Erfindungen immer mehr vom Joch der Arbeit befreit und kann nun nichts damit anfangen. In einer Art Alterstarrsinn bleibt sie sinnlos gewordenen Werten verhaftet.

Fordern und Fördern?

Diese flotte Formulierung, mit der sich Hartz IV vermarktet, ist für die Arbeitslosen mit zahllosen Demütigungen verbunden, Datenerhebungen, Auflagen, Sanktionen, Maßnahmen. Du hast keine Arbeit, also dürfen wir dich als Unmündigen behandeln. Der jetzt beklatschte Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt hat vor allem Menschen in Billiglohn gebracht. Mit viel Arbeit und wenig Entfaltungsmöglichkeiten sehen sie dann der Altersarmut entgegen.

Jeder hat ein würdiges Leben verdient, und muss es sich nicht erst verdienen. Auch der Nichtsnutz verdient ein würdiges Leben, weil eben keiner Mangel leidet, wenn einige nichts Produktives tun. Was für ein grauenhaftes Menschenbild muss man haben, um zu denken, dass der Mensch nur unter dem Druck der Existenzangst etwas tut? Das Misstrauen aber schafft seine Gründe: Eigene Ideen ersticken in Demütigungen, am Ende erzieht sich ein System, das niemandem traut, bockige Menschen, denen es nicht trauen kann.

Ging es beim Arbeitslosengeld nicht auch darum, dem Arbeitenden die Angst vor der Macht des Arbeitgebers, ihn in die Arbeitslosigkeit abstürzen zu lassen, zu nehmen? Die Angst macht ihn aus einem freien Menschen zu einer Ware, deren Preis andere bestimmen. Erst der Arbeiter, der keine Angst hat, kann seinen Preis verhandeln. Erst dann gibt es überhaupt einen Arbeitsmarkt.
Mit freier Verhandlungsmacht würden nicht wenige halbe Stellen ganzen vorziehen. Einige sind arbeitslos, die übrigen arbeiten häufig mehr, als ihnen gut tut. In den letzten Jahren gab es in Deutschland eine Rekordzahl an psychischen Erkrankungen und die niedrigste Zahl von Krankschreibungen seit Einführung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (1970).


Die nehmen uns den Arbeitsplatz weg

Die produktive Arbeit wird weniger durch steigende Produktivität. Das gilt nicht nur für ein Land, sondern für die Welt. Wir sind unfähig, das als Gewinn zu sehen, und erheben Arbeitsplätze, auch schlechte, zum Wert an sich. Also versuchen es alle Staaten in Zeiten des Waren-Freihandels mit Arbeitsmarktprotektionismus. Flüchtlinge werden oft zwar geduldet, erhalten aber keine Arbeitserlaubnis. Polen wird zwar in die EU aufgenommen, unser Arbeitsmarkt bleibt den Polen aber fürs erste verschlossen. Der einzelne Angestellte oder Arbeitslose schaut die unerwünschten Konkurrenten scheel an. Solange die Arbeitslosigkeit die heutige Bedeutung hat, ist es ihm nicht ganz zu verdenken, aber das muss alles nicht so sein, weder die Angst noch die daraus geborene Missgunst ist nötig. In Wahrheit ist es doch falsch, dass lauter Abhängige sich gegeneinander richten, statt die Bedingungen ihrer Abhängigkeit zu verbessern.

Ich habe mir schließlich auch alles selbst erarbeitet

Aha, und die Maschinen erfunden und gebaut, an denen Sie arbeiten; die Lehrer ausgebildet, von denen Sie gelernt haben; das Brot gebacken, mit dem Sie groß geworden sind, und das Getreide angebaut, aus dem es gebacken wurde? Jeder verdankt anderen viel, keiner hat sich seit den Tagen der Subsistenzwirtschaft alles selbst erarbeitet. Durch eigene Arbeit kauft sich niemand frei von den Schulden, die er bei anderen, Lebenden und Toten hat. Und umgekehrt verwirkt auch der, der nicht für Geld arbeitet, keineswegs den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben. Beide sind Schuldner, und beide haben Rechte.

Aus der Fabel von der Ameise und der Grille können wir nichts mehr lernen.


WAS ALSO TUN? NACHDENKEN.

Wir denken auch drüber nach und sehen uns nach Ideen um, die helfen könnten. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle wird derzeit unter anderem in Netzwerk Grundeinkommen (http://www.grundeinkommen.de), von verschiedenen Bürgerinitiativen und von dem Unternehmer Götz Werner diskutiert (http://www.unternimm-die-zukunft.de/). Statt einer Beihilfe, die man sich unter Auflagen erbetteln muss, erhielte jeder, ob reich oder arm, eine Grundsicherung, die am mittleren Einkommen orientiert wäre und über der Armutsgrenze läge. In Werners Konzept würde dieses Grundeinkommen durch Konsumsteuern finanziert. Niemand kann ganz absehen, wie ein solches Grundeinkommen funktionieren würde. Es käme auf einen Versuch an. „Keine Experimente“ ist ein schlechter Rat, wenn sich die Welt verändert.


Was wir möchten... (http://www.samstags-demonstration.blogspot.com/)
Wir wollen an jedem zweiten Samstag im Monat eine kleine und vielleicht allmählich größere Demonstration in Berlin durchführen.

An einer Samstagsdemonstration können nicht nur Arbeitslose teilnehmen.

Viele, die zuviel unter schlechten Bedingungen für wenig Lohn arbeiten und vor der Arbeitslosigkeit Angst haben, sind nicht glücklich.

Viele Arbeitslose, die sich schikanieren lassen müssen, sind unglücklich.

Flüchtlinge in Dauerduldung oder Abschiebegefängnissen sind unglücklich.

Wir glauben, dass es besser ist, diese Formen des Unglücks nicht für unvermeidlich zu halten. Gesetze lassen sich ändern, wenn sich die Gesellschaft bewegt.


Bertrand Russell (1932, „In Praise of Idleness“)

Hier wird die Moral des Sklavenstaates unter Umständen angewendet, die so ganz anders sind als die, unter denen sie entstanden ist. Kein Wunder, mit furchtbaren Ergebnissen.. Lassen Sie uns ein illustrierendes Beispiel betrachten: Nehmen wir an, dass zu einem gewissen Zeitpunkt eine gewisse Zahl von Leuten damit beschäftigt ist, Nägel herzustellen. Sie stellen mit acht Stunden täglicher Arbeit alle Nägel her, die die Welt braucht. Jemand macht eine Erfindung, mit deren Hilfe dieselbe Zahl von Arbeitern doppelt so viele Nägel herstellen kann. Nägel sind aber bereits so billig, dass auch für einen niedrigeren Preis kaum mehr davon vekäuflich sind. In einer vernünftigen Welt, würde jeder, der mit der Herstellung von Nägeln befasst ist, nur noch vier anstelle von acht Stunden arbeiten, und sonst bliebe alles beim Alten. In unserer Welt arbeiten die Leute weiter acht Stunden, es gibt zu viele Nägel, einige Arbeitgeber gehen bankrott, und die Hälfte der Leute, die bisher Nägel hergestellt haben, wird entlassen. Am Ende gibt es gerade so viel Müßiggang wie im anderen Schema, nur ist die Hälfte der Leute müßig, die andere Hälfte immer noch überarbeitet. Auf diese Weise wird dafür gesorgt, dass der unvermeidliche Müßiggang überall Unglück hervorbringt statt eine Quelle des Glücks zu sein. Kann man sich etwas Verrückteres vorstellen?

--------------------------------- Das kurze Flugblatt:


BEDINGUNGSLOSES GRUNDEINKOMMEN

Jeder hat ein bedingungsloses Recht auf Leben, Nahrung, Wohnung und Bildung. Für die Wahrnehmung dieser Rechte benötigt hier jeder ein Einkommen. Der Anspruch auf ein Grundeinkommen wird durch den Sozialstaat im Prinzip anerkannt, aber im Rahmen von Hartz IV an demütigende Bedingungen der Kontrolle und des Zwangs geknüpft. Je unzumutbarer diese Bedingungen sind, desto mehr Menschen geben sich notgedrungen mit schlecht bezahlten Jobs unter schlechten Bedingungen zufrieden. Unter den Arbeitslosen und unter den schlecht Arbeitenden werden viele krank und traurig.

Wir schlagen ein bedingungsloses Grundeinkommen über der Armutsschwelle vor, das jeder erhält, ob er nun Arbeit hat oder nicht. Ein solches Grundeinkommen wäre durch Steuern finanzierbar, durch Konsumsteuern oder auch durch andere (das wurde nachgerechnet).
Es gäbe keine „Bedürftigkeitsprüfung“, keine „Wiedereingliederungs-vereinbarung“ mehr, es wäre keine demütigende Notversorgung, sondern die Wahrnehmung eines Grundrechts.


Ja, wer wird denn dann noch arbeiten? Wer gerne arbeitet; wer Sinn in seiner Arbeit sieht; wer gut bezahlt wird; wer sowieso schon unbezahlt ehrenamtlich arbeitet, seine Kinder erzieht, anderen hilft. Und das sind wahrscheinlich die meisten. In Umfragen sagen die meisten von sich, sie würden auch mit einem Grundeinkommen arbeiten. Die meisten nehmen aber zugleich an, die anderen seien faul. Nur wenige glauben, sie müssten gegängelt und bevormundet werden. Warum wagen wir denn nicht den Schritt in ein System, in dem auch die anderen nicht gegängelt und bevormundet werden?

Arbeit und Einkommen werden durch diese Idee teilweise entkoppelt. Eine immer produktivere Wirtschaft hat viele Arbeitsplätze wegrationalisiert. Es ist unter den gegenwärtigen Bedingungen sehr schlimm, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Auch mit einem Grundeinkommen kann es schlimm sein, die Arbeit und die Kollegen und den Lohn zu verlieren, aber es wäre kein so bodenloser Absturz wie jetzt. Man könnte Stolz und Eigeninitative behalten. Es wäre dann auch möglich, in der wachsenden Produktivität eine Befreiung der Menschen für anderes zu sehen.

Das Grundeinkommen ist nicht die Antwort auf alle sozialen Fragen, sondern ein neuer Anfang. Wir spazieren schon seit zwei Jahren einmal monatlich durch die Stadt und reden mit Leuten über diese Idee. Dabei haben wir bemerkt, dass die meisten, denen es schlecht geht, nichts mehr hoffen, sich nicht politisch engagieren, nicht mehr auf Solidarität bauen. Manche schieben auch die Schuld auf „die Ausländer“, die doch im selben Boot sitzen und gerade so betroffen sind. Die Angst derer, die Arbeit haben, und die Demütigung derer, die keine haben, verhindern Solidarität. Wir wagen zu hoffen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen mehr aufrechten Gang, mehr Solidarität, mehr politisches Engagement und mehr Zuversicht ermöglicht.

In den letzten zwanzig Jahren ist dieses Land reicher geworden, hat aber mehr Arme hervorgebracht. Finden wir uns nicht ab mit dieser Tristesse!

Wer sind wir? Wir sind keine Partei, sondern einige Freunde, die seit zwei Jahren einmal monatlich einen „Demo-Spaziergang“ veranstalten. An jedem zweiten Samstag im Monat treffen wir uns dazu gegen 12 Uhr im Cafe Kotti am Kottbusser Tor (im ersten Stock, links von der Durchfahrt der Adalbertstraße durch den Betonriegel 'Zentrum Kreuzberg'.) Jeweils am Dienstag nach der Demonstration treffen wir uns nochmal um 20 Uhr im Cafe Kotti, um über das Grundeinkommen & anderes zu reden. (Und anderes! Man kann nämlich nicht über das Grundeinkommen nachdenken, ohne sich alle möglichen politischen und gesellschaftlichen Fragen zu stellen. Nicht einfach alles als gegeben hinzunehmen ist ein guter Anfang.)





Kontakt:
http://www.samstags-demonstration.blogspot.com

Dort finden sich auch Links auf weitere Gruppen, die sich mit dem Grundeinkommen befassen.