Freitag, 29. Januar 2010

Am Samstag, dem 13. Februar 2010

... demonspazieren wir wieder für das bedingungslose Grundeinkommen. Wir treffen uns um 12 Uhr im Café Kotti am Kottbusser Tor oder, wenn viele kommen, unterhalb des Cafes auf dem Platz. Das Kotti befindet sich im ersten Stock des Zentrums Kreuzberg.


Wir spazieren jeden Monat am zweiten Samstag mit Plakaten und Trillerpfeifen durch die Stadt und führen dabei Gespräche. Das Grundeinkommen wird von nicht wenigen diskutiert, die meisten aber kennen es entweder nicht oder sind dagegen oder sind in zu tiefer politischer Resignation versunken, um diese oder andere Ideen noch ernst zu nehmen. Es scheint uns daher richtig, solche Gespräche in kleinen Gruppen zu führen, um zur Verbreitung der Idee und der Überwindung einer politischen Stagnation beizutragen.

Und wenn es irgendwann genügend viele Anhänger der Idee gibt, werden sich diese auch in einer wirklichen und großen Demonstration zeigen können. (Es gibt eine Mailingliste, die zu einer Großdemonstration einladen wird, sobald sich 100000 eingetragen haben.)

Warum ein bedinungsloses Grundeinkommen? Jeder hat ein bedingungloses Recht auf Leben, Nahrung, Kleidung, Wohnung, Bildung, das er hier nur mit einem Einkommen wahrnehmen kann. Dennoch wird jetzt ein Einkommen an Bedingungen geknüpft. Wer nicht von einer Lohnarbeit leben kann, erhält die staatliche Unterstützung nur dann in voller Höhe, wenn er die Vorschriften der Arbeitsagentur akzeptiert (Maßnahmen, 1-Euro-Jobs). Auch ist diese Unterstützung keineswegs auf eine volle "Teilhabe" der Empfänger am gesellschaftlichen Leben ausgelegt, sondern "soll" einen Bestrafungscharakter haben, denn ein jeder "soll" seinen Lebensunterhalt ja durch Arbeit verdienen, auch wenn es nicht genug Lohnarbeit für alle gibt.
Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen werden Rechte eingefordert, die das Grundgesetz und die europäische Menschenrechtserklärung uns zusichern.

Viel Lohnarbeit ging durch Rationalisierung verloren. Die Produktion ist gewachsen, mit ihr aber nicht die Nachfrage nach Arbeitskräften. Andererseits gibt es in vielen Bereichen wichtige Arbeit, die ehrenamtlich geleistet wird. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens läuft auf die teilweise Abkopplung von Arbeit und Einkommen hinaus. Das schließt aber eine Ausweitung des öffentlichen Dienstes, eine allmähliche Umwandlung vieler ehrenamtlicher Tätigkeiten in Lohnarbeit, eine gesetzliche Begünstigung von Teilzeitarbeit etc. nicht aus. Wir glauben nicht, dass das bedingungslose Grundeinkommen das Patentrezept ist, das alles übrige der marktwirtschaftlichen Selbstorganisation überlässt. (Manche Vertreter des bedingungslosen Grundeinkommens stellen sich so etwas vor.)

Manche der Grundrechte können besser direkt gewährleistet werden, etwa die Gesundheitsversorgung. Die gegenwärtig geplante Umstellung der Krankenkassenbeiträge auf Kopfpauschalen wird auf Dauer entweder die Gebühren für die Ärmeren erhöhen und deren Spielräume weiter beschneiden oder dazu führen, dass die gesetzlichen Krankenkassen für weniger Leistungen aufkommen. Beides sollte sich eine solidarische Gesellschaft nicht wünschen. Wenn man die Rechte auf Leben und Gesundheit ernst nimmt, wird man dagegen das System einer solidarischen Versicherung stärken. Dass im Gesundheitssektor emarktwirtschaftliche Strukturen keineswegs "Kosten senken", beweisen die USA.

Die Gesundheitsversorgung würde man also auf eine Liste schreiben, auf der die Güter stehen, die direkt und nicht über eine Grundeinkommen gewährleistet werden sollten. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde zusammen mit solchen direkt gewährleisteten Rechten den Einzelnen eine Gestaltung des eigenen Lebens ohne überflüssige Angst ermöglichen. Jeder könnte sich für oder gegen eine bestimmte Arbeit entscheiden, zusammen mit anderen für andere Arbeitsbedingungen streiten, sich ehrenamtlich oder politisch betätigen, ohne fürchten zu müssen, dafür bestraft zu werden. Gerade eine sich demokratisch verstehende Gesellschaft sollte sich soviel Freiheit wünschen. Ja, es geht bei gesellschaftlicher Solidarität auch um Freiheit, denn die Freiheit des Einzelnen hat Bedingungen, die über bloße Schutzrechte hinausgehen. Wir haben bei unseren Demospaziergängen auch schon 'Liberale' getroffen, die nur Schutzrechte, aber keinerlei soziale Rechte akzeptieren, nach Art Robert Nozicks. Die Funktion des Staates wäre demnach der polizeiliche Schutz des Eigentums und des Lebens, und basta. In solchem 'Liberalismus' wird von den Bedingungen konkreter Freiheit schon gar nichts mehr verstanden. Freiheit braucht Solidarität.

Wir rennen mit solchen Ideen keine offenen Türen ein. Gerade jetzt wird diskutiert, die Sanktionen für Hartz IV-Empfänger zu verschärfen und Arbeitszwang einzuführen (etwa jüngst Roland Koch in einem Artikel in der FAZ. Koch befürwortet schon länger "workfare", siehe auch hier über den Zusammenhang des "workfare"-Konzepts mit der Entmündigung von Armen in "Arbeitshäusern" ). Dahinter steht die Doktrin, Grund für Arbeitslosigkeit oder Armut sei allemal persönliches Versagen. Viele würden es sich mit wenigen Stunden Arbeit für ein paar Hundert Euro und Aufstockungs-Hartz-IV einrichten, so eine der Thesen Kochs. Er weiß aber, muss wissen, dass mit 5 Euro Stundenlohn 400 Euro einer halben Stelle entsprechen. Wer mit einer halben Stelle Hartz IV bekommt, wäre mit einer vollen Stelle immer noch arm. Die groteske Ungleichheit der Löhne rechtfertigt Koch durch Bildung oder Qualifikation. Wo aber auf einem Planeten, der Fähigkeiten gerecht zu bewerten wüsste, Roland Koch stünde, sei dahingestellt. Immer wieder hören wir auch bei unsere Spaziergängen den Quatsch, es komme nur auf Bildung und Qualifikation an. Aber selbst wenn alle Doktoren wären, gäbe es das am wenigsten qualifizierte Drittel der Doktoren, und die müssten dann für wenig Geld die Klos putzen. Es poltern nicht alle wie Koch, im Gegenteil, man antwortet ihm mit unverbindlichen Bekundungen sozialer Natur. Dennoch ist zu fürchten, dass die 'Reform der Reform' mehr Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger bedeuten wird. Denn weit über die FDP hinaus ist der Irrglaube, es sei allein das Individuum für seine Lage verantwortlich, verbreitet - und damit auch eine Abneigung gegen jede Art von Umverteilung. Die 'Reform' unseres Gesundheitswesens kann ein weiterer Schritt zu einer Privatisierung werden, wieder auf Kosten der Armen. Und so etwas wird die Schwelle für ein wirklich befreiendes Grundeinkommen weiter erhöhen. Es gibt, von Sonntagsreden abgesehen, keinen Konsens über die Würde des Menschen. Es wird Zeit, dass sich wieder ein kämpferischer Geist verbreitet, sonst wird es nicht nur kein Grundeinkommen, sondern immer Schlimmeres für die Ärmsten geben.

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