Wie haben wieder einen heißen Nachmittag lang mit vierzig oder fünfzig Leuten geredet. Diesmal gingen wir längs des Kottbusser Damms. Die schlechte Nachricht ist die, dass junge Menschen, die darauf bauen, sich erfolgreich durchs Leben beißen zu können, mit sozialen Ideen nichts anfangen können. Noch deutlicher ist dies bei gebildeten jungen Leuten, die ihre Kälte argumentereich durch eine Art von Skepsis verbrämen. Die gute Nachricht: Die überwiegende Mehrheit ist nicht kalt, sondern würde sich so etwas wünschen, ist aber außerstande, an die Möglichkeit zu glauben. Wir bekamen zum Beispiel zu hören: "Werdet was im Leben, werdet mächtig, dann könnt ihr was verändern, nicht so wie ich." Eine Demokratie, deren Angehörige politische Veränderungen nur noch als Auswirkung individueller Machtausübung begreifen, wäre als Demokratie gescheitert.
Wir sagen uns immer wieder vor, dass Ideen sich durchsetzen können, denn sie haben sich auch in der Vergangenheit durchgesetzt. Als die ökologische Bewegung anfing, war auch nicht abzusehen, dass der Umweltschutz es einmal zu einem wichtigen politischen Thema schaffen würde. Da wir aber an der allgemeinen Zeitkrankheit leiden, bringt dieses Selbstvorsagen die Zweifel nicht zum Verstummen.
Manche nennen uns auch "Idealisten", und das hilft dann kaum, sich nicht für eine Art Narren zu halten. Spitzenpolitiker, die von Vollbeschäftigung in anständig bezahlter Arbeit reden, sind aber keine "Realisten", sondern in dem schlechten Sinne Idealisten, dass sie ein bloßes Ideal vor sich her tragen, für dessen Verwirklichung sie nichts tun.
Wir sind auch wirklich armen Menschen begegnet. "Es ist ein Schande, dass..." sagen regelmäßig Politiker quer durch alle Parteien über die Armut in Deutschland. Als schlechte Idealisten tun sie aber nichts anderes dagegen, als ihre Entrüstung zu zeigen, während sie den Billiglohnsektor fördern, eine Hauptquelle des neuen alten Phänomens der "arbeitenden Armen."
Realisten sind wir, aber in der Minderheit. Der König ist nackt.
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