Wir laufen diesmal am zweiten Samstag des Monats durch Berlin, um mit Passanten über ein bedingungsloses Grundeinkommen zu reden. Es ist nur in kleinem Maße eine Demonstration, vor allem ein Spaziergang mit Gesprächen. Wir treffen uns gegen 12 Uhr im Cafe Kotti, das sich am Kottbusser Tor im ersten Stock des merkwürdigen Betonriegels befindet, der sich über die Adalbertstraße spannt. In den Gesprächen werden wir darauf hinweisen, dass auch einige parteilose Direktkandidaten mit dem Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens zur Bundestagswahl antreten, es wird also auch in ganz bescheidenem Maß Wahlkampf für eine Idee sein. (Ralph Boes tritt in Berlin-Mitte an, auf seiner Seite ist auch eine Liste der anderen Berliner Direktkandidaten.)
Die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens argumentieren ganz verschieden, sind sich aber zumeist über den Rahmen einig:
Menschen können ihre - unbedingten - Rechte nur wahrnehmen mit einem Einkommen, auf das es insofern auch ein bedingungsloses Recht gibt. Ein bedingungsloses Einkommen über der (relativen) Armutsgrenze ermöglicht freie Entscheidungen für und gegen gewisse Arbeiten, ob sie nun Lohnarbeit sind oder nicht. Wer sich gegen eine Arbeit entscheiden kann, kann auch verhandeln, unter welchen Bedingungen er oder sie eine Lohnarbeit annimmt. Wenn Arbeiten, die derzeit unter schlechten Bedingungen zu Billiglohn oder gar als 1-Euro-Maßnahmen geleistet werden, wichtig genug sind, wird es sie als Arbeit zu neu ausgehandelten Bedingungen weiterhin geben. Für freiwillig geleistete Arbeit - ob nun Ehrenamt, Kindererziehung oder Lohnarbeit - kann man Anerkennung bekommen und stolz darauf sein. Bei Zwangsmaßnahmen a la Hartz IV ist das meist nicht so. Dass Menschen gegen Gesetze, die sie als bockig und faul und unfrei behandeln, tatsächlich bocken, beweist nicht, dass sie dummes Gesocks sind, sondern auch, dass sie frei sein wollen. Wenn es auch echte "Faule" geben wird, die das bedingungslose Grundeinkommen als ein Stipendium zum Nichtstun betrachten, ist das keine Katastrophe. Es gibt sowieso keine Vollbeschäftigung und heuer genügend viele unfreiwillig Faule. Und es gibt ja andererseits auch bösen Fleiß (fleißige Waffenhändler...).
In anderen Hinsichten sind die Unterschiede der Befürworter groß. Auf eine Gefahr - aus meiner Sicht - will ich hinweisen. Wer sich und anderen das Grundeinkommen als ein "radikal vereinfachtes Sozialsystem" vorstellt, leistet den bisher Lohnabhängigen einen Bärendienst. Wenn das Grundeinkommen alle bisherigen Sozialleistungen einfach ersetzt, ist dessen Betrag ein unsägliches Schlachtfeld. In Wahrheit können mit der allmählichen Einführung eines Grundeinkommens andere Sozialleistungen vermindert werden, aber es sollte garantiert werden, dass zumindest keiner schlechter gestellt wird als jetzt. (Solange ein Grundeinkommen noch unter Hartz IV + Wohngeld liegt, sollte es etwa noch ein Wohngeld geben.) Auf diese Weise lebte es sich mit einem veränderlichen Gemisch aus Grundeinkommen, anderen Leistungen und Arbeitslohn. Spezifische Sonderleistungen für Menschen unter besonderen Bedingungen sollte es wohl immer geben. Darüber, wie auch über Lohn und Arbeitsbedingungen, wird es Debatten und Kämpfe geben, die vielleicht sogar mit dem Grundeinkommen erst richtig anfangen, denn es lässt sich hoffen, dass mit Freiheit und Stolz und der Option auf freie Zeit auch die Teilhabe an der Politik wieder wächst.
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1 Kommentar:
Dass das bedingungslose Grundeinkommen niemand schlechter stellen soll als bisher, ist tatsächlich eine Minimalforderung, und wer die ablehnt, wäre dann wirklich ein sogenannter "falscher Freund". Die Gefahr, daß sowas diskutiert wird, wächst mit der Popularität unserer Idee, und es ist wirklich gut, wie hier im Artikel geschehen, schon früh auf diese mögliche Falle hinzuweisen, finde ich.
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