Dienstag, 23. Juni 2009

Demospaziergang am 11. Juli

Diesmal spazieren wir am 2. Samstag des Monats, am 11. Juli also, durch Berlin und reden mit allen, die mit uns reden wollen, über das bedingungslose Grundeinkommen. Wir treffen uns diesmal gegen 12 Uhr im Cafe Kotti, das sich am Kottbusser Tor im ersten Stock des merkwürdigen Betonriegels befindet, der sich über die Adalbertstraße spannt. Wem das gefällt, kann zu uns stoßen oder einen eigenen Spaziergang veranstalten.

Dieser Demospaziergang ist eigentlich keine Demonstration, sondern eine Diskutierveranstaltung, die jede nicht zu große Gruppe unternehmen kann. Wir haben zwar ein paar Schilder und Trillerpfeifen, um bemerkt zu werden, bleiben dann aber lange stehen, um Gespräche zu führen. So erreichen wir jedesmal einige Dutzend Leute, viel weniger als die kleinste Zeitung, aber anders als diese im Gespräch. Man muss nur die Peinlichkeit des Anfangs überwinden, die Gespräche führen sich dann ganz leicht. Über eine kleine Mitteilung von Leuten, die auch so etwas machen, würden wir uns freuen.

Der vor einigen Tagen verstorbene Ralf Dahrendorf hat sich (in Thomas Schmid (Hrsg.): Befreiung von falscher Arbeit - Thesen zum garantierten Mindesteinkommen, Berlin 1986, zitiert nach dem nebenstehenden Link) für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen und dabei zwei Begründungsstränge auseinandergedröselt, die normalerweise - auch von uns - vermengt werden.

Der eine ist die "Entkopplung von Arbeit und Einkommen" in einer Zeit, die Güter für alle produziert, dabei aber nicht mehr auf die Lohnarbeit aller angewiesen ist. Das ist ein wichtiges Thema, das aber verständliche Ängste bei vielen auslöst, deren Tagesablauf durch Lohnarbeit strukturiert ist, die nicht nur ihren Lebensunterhalt so finanzieren, sondern auch Achtung und Selbstachtung aus dieser Arbeit beziehen. Diese Bedeutung der Lohnarbeit kann langfristig schwinden, jetzt aber ist sie noch vorhanden. Unter den Arbeitern und in den Gewerkschaften vertreten nur wenige ein bedingungsloses Grundeinkommen, weil sie darin einen Kuhhandel wittern. Der Sicherheit und Freiheit, die das Grundeinkommen darstellen könnte, steht in ihrer berechtigten Sicht die Gefahr gegenüber, dafür Tarifverträge, Kündigungsschutz u. ä. zu verlieren. Andererseits verkleinert gerade die Angst for der Arbeitslosigkeit den Spielraum der Gewerkschaften und schwächt die Verhandlungsbasis von Arbeitnehmern. Ein die Angst verminderndes Grundeinkommen könnte dann durchaus auch als Verbündeter derer erscheinen, die weiter an die Lohnarbeit glauben. Die Bedeutung der Lohnarbeit wird nicht in einem Tag und auch nicht in einer Generation überwunden. Dahrendorf bemerkt dazu:

Das sind harte Tatsachen. Wer sie nicht zur Kenntnis nimmt, hebt vom Boden der Wirklichkeit ab, und seine oder ihre Vorschläge geraten damit ins Schweben, also in die Unverbindlichkeit. Das muß man gerade dann feststellen, wenn man selbst ein Befürworter des Weges von der Arbeits- zur Tätigkeitsgesellschaft ist. Man sollte dieses zentrale Thema nicht durch seine Vermischung mit dem des Mindesteinkommens schwächen.


"Sehr privilegierte Gruppen - zum Beispiel mittelständische Jungakademiker mit Beamtenrechten -" (Dahrendorf) und Ausüber von freien Berufen können sich jetzt schon leicht für die Entkopplung von Arbeit und Einkommen aussprechen. Wo das aber die einzige und bevorzugte Begründung bleibt, wird die Idee geschwächt. Viele Arbeiter und Angestellten könnten ihnen nicht trauen, weil ihre Bedürfnisse dabei nicht vorkommen.

Die Begründung, die Dahrendorf stattdessen vorschlägt, bezieht sich auf Grundrechte:

Das ist die Begründung durch Staatsbürgerrechte: wenn es nicht zu den Grundrechten jedes Bürgers gehört, daß eine materielle Lebensgrundlage garantiert wird, dann zerfällt die Staatsbürgergesellschaft. Anders gesagt, zur Definition des gemeinsamen Fußbodens, auf dem alle stehen, ist in der Tat die Entkopplung des Einkommens von der Arbeit nötig. Hier reicht weder die reine Wohlfahrt noch die Wiederbelebung des Spruchs, daß wer nicht arbeitet auch nicht essen soll. Es ist dies aber nicht mehr als eine notwendige Bedingung zur Schaffung einer Gesellschaft, in der zu leben sich lohnt. Vieles weitere bleibt zu tun, gerade auch im Hinblick auf die (Verteilung von) Arbeit. Das garantierte Mindesteinkommen ist so notwendig wie die übrigen Bürgerrechte, also die Gleichheit vor dem Gesetz oder das allgemeine, gleiche Wahlrecht.


Wie die Gesellschaft sich künftig zur Lohnarbeit stellt, wird die künftige Gesellschaft herausfinden. Diese Begründung können sich Jungakademiker und Arbeiter gleichermaßen zu eigen machen, so verschieden die Welt, die sie sich wünschen, auch aussähe.

Dahrendorf spricht schließlich noch von verschiedenen Bündnissen mit dem Teufel. Manche der Befürworter versprechen sich vom Grundeinkommen Bürokratieabbau und Dynamisierung des Arbeitsmarkts, sie halten das Grundeinkommen in erster Linie für eine ökonomisch sinnvolle Maßnahme. Nun gut. Sind nicht, bei der Durchsetzung einer Idee alle Verbündeten zu begrüßen?
Daran müssen wir leider zweifeln, denn es wäre eben nicht dieselbe Idee. Lassen wir wieder Dahrendorf zu Wort kommen.

Wacklige Koalitionen führen auch zu Entscheidungen ohne Bestand. Am Ende würden die einen immerfort am Steuersatz herumfummeln und die anderen der Schimäre einer von Arbeit gänzlich befreiten Gesellschaft nachlaufen, und das garantierte Mindesteinkommen wäre das Opfer.

Die Entscheidung, die verlangt ist, ist in Wahrheit eine ganz andere. Sie ist in der Qualität nicht anders als die Garantie der Gleichheit vor dem Gesetz und des gleichen Wahlrechts. Es ist ein Schritt zu tun, der seiner Natur nach unwiderruflich ist. Gewiß schützen Verfassungen nicht vor Tyrannen, zumal nicht vor dem Mediencharisma populistischer Führer. Aber sie verkörpern, wenn sie gut sind, die besten Errungenschaften einer zivilisierten Gesellschaft, das also, hinter das man nicht mehr zurückfallen will. Im normalen Gang der Dinge zumindest binden sie die Hände der politisch Tätigen, und noch im nicht-normalen Gang schaffen sie ein Hindernis für verderbliche Entscheidungen. In die Verfassung im weiteren Sinne gehört auch das Mindesteinkommen. Es muß als Grundbestand der Staatsbürgerrechte Anerkennung finden, weil sein Sinn darin liegt, eine Ausgangsposition zu bestimmen, hinter die niemand zurückfallen darf.


In diesem Sinn demonspazieren wir wieder durch Berlin.

Freitag, 5. Juni 2009

Und wieder demonspazieren wir fürs bedingungslose Grundeinkommen

Am Samstag, dem 6. Juni, treffen wir uns wieder gegen Mittag im Cafe Jenseits am Heinrichplatz und spazieren dann irgendwo durch Berlin, um mit den Leuten, die uns begegnen, übers bedingungslose Grundeinkommen zu reden.

Vollbeschäftigung gibt's nicht mehr, aber an Gütern herrscht kein Mangel. Jeder hat ein Recht auf ein selbstgestaltetes Leben, unabhängig davon, ob er einer Lohnarbeit nachgeht. Wer ein Grundeinkommen hat, kann entscheiden, was er tut. Ein solches Grundeinkommen kann mit Steuern finanziert werden. Die Finanzierbarkeit ist ja meist der erste Einwand, doch man sieht ja zurzeit, was alles finanzierbar wird, wenn man es für nötig hält.


Große Mühen und viel Geld verwenden die Staaten darauf, Unternehmen und Banken zu stützen, damit alles so bleiben kann, wie es ist. Das heißt im Klartext: Wenn beispielsweise "Opel gerettet wird", werden die Opel-Angestellten, die nicht entlassen werden, dankbar die Kündigung der Tarifverträge akzeptieren, und dankbar wird die ganze Branche die Ausdehnung von Billiglohn hinnehmen. Die, die entlassen werden, danken zunächst niemandem, sehen aber selbst mittlerweile ein, Späne zu sein, während gehobelt wird. Immer wieder hört man von einer "alternativlosen Politik". Man muss dieses Unternehmen retten, dessen wirtschaftliche Bedeutung... Man kann ja nicht alle Unternehmen retten, das versteht jeder... In so einer Krise werden nun einmal Arbeitskräfte freigesetzt.

So weit, so gut. Wie geht's denn den solchermaßen Freigesetzten? Während man ständig mit der brechreizerregenden Formulierung "das erwarten die Menschen in unserm Land" konfrontiert wird, kümmert das Befinden der Arbeitslosen (Menschen?) einen Dreck. Das Modell lautet immer noch Vollbeschäftigung, und die Arbeitslosen müssen im Rahmen von Hartz IV unter anderem Maßnahmen erdulden, die an die Bestrafung von Kriminellen erinnern. Neuerdings dürfen die Arbeitsagenturen die Leistungsempfänger (Menschen?) sogar bespitzeln. Jeder soll merken, dass er das Arbeitslosengeld einem Gnadenakt der sich wohlverhaltenden Mehrheit verdankt.

Anders betrachtet: Haben wir ein Rezessiönchen, schrumpft der zu verteilende Kuchen um 6 Prozent. Und? Sieht das nach Katastrophe aus? Man muss die Verluste aber nur schön ungleichmäßig verteilen, und es wird eine Katastrophe für einige Millionen draus. Da gibt es dann viele aufschlussreiche Effekte, zum Beispiel der Anstieg der Selbstmordrate. Die die (noch) Arbeit haben, dürfen sich dann auf die im Wahlkampf versprochenen Steuergeschenke freuen, während sie (auch die mit den "guten" Jobs) zittern, ihren Platz auch noch zu verlieren. So wenig Stolz, Gleichmut und Freiheit bei soviel Wohlstand...

Wenn man schon undurchsichtigen Prozessen, die nur unzutreffend mit "Markt" bezeichnet werden können, die Schaffung und Zerstörung von Arbeitsplätzen und die Festlegung der Gehälter überlässt, dann sollten doch grundlegende Rechte nicht dem Markt überlassen bleiben. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre ein Weg.