Montag, 1. Dezember 2008

Nächste Samstagsdemonstrationen

Da einige von uns am ersten Samstag im Dezember und Januar keine Zeit haben, werden wir ausnahmsweise am zweiten Samstag des Monats demonspazieren gehen,
also

am 13. Dezember und am 10. Januar.

Wir werden wieder durch die Stadt spazieren und mit Leuten über ein bedingungsloses Grundeinkommen reden.

Wir laufen um 12 Uhr vom Cafe Jenseits am Heinrichplatz in Kreuzberg los. Wer will, kann sich zu uns gesellen oder einen eigenen Demonspaziergang veranstalten.

Nachtrag vom 13. Dezember Wir haben heute wieder viele ganz verschiedene Gespräche geführt. Ein ehemaliger Angestellter in der Autoindustrie findet seit Jahren nur noch Arbeit über Zeitarbeitsfirmen, muss sich bei der selben Arbeit einen Bruchteil des Lohns gefallen lassen, den seine tariflich bezahlten Kollegen bekommen. Ein Armutszeugnis, dass die Gewerkschaften, wie er berichtet hat, sich nicht für zuständig erklärten: Sein Arbeitgeber sei schließlich nicht die Automobilfirma. Vielleicht würden ja mit einem bedingungslosen Grundeinkommen die gegenwärtigen Zeitarbeiter auch den Mut und die Möglichkeit finden, sich bessere Arbeitsbedingungen zu erstreiten. Einstweilen trägt sie keine Solidarität & sie sollen froh sein, überhaupt Arbeit zu haben.

Wer an ein bedingungsloses Grundeinkommen denkt, kann damit auch eine schlechte Idee verbinden: Dass die Empfänger ein für alle mal abgespeist sind, alles weitere regelt der Markt. Stattdessen eröffnen sich mit der Überwindung von Angst und Demütigung auch die Chancen neuer Formen von Solidarität, oder auch der Wiederauferstehung sich leider allmählich entleert habender alter Formen, etwa
gewerkschaftlicher? Man hat ja fast vergessen, was das wäre.

Auch diesmal wieder zeigte sich, dass Akademiker gerne skeptisch sind, skeptisch bezüglich der Idee im Allgemeinen oder ihrer Ausführung im Speziellen. Und gebietet die Klugheit nicht immer Slepsis? Hinter Skepsis kann man aber auch gut verstecken, wenn einem Solidarität und Vertrauen in die Menschen (und darin, dass die Erde keineswegs stillsteht, wenn uns kein Knüppel zur Arbeit zwingt) einfach nichts sagen, oder wenn man einfach ganz sicher ist, zu einem Mittelstand zu gehören, der die Probleme der Armen nicht hat, dass die Armen wiederum selbst schuld sind usw. Man kann beispielsweise in jedem beliebigen Reifestadium einer noch nicht realisierten Idee "mehr Studien" einfordern, denn ein Experiment bleibt allemal unsicher und Studien sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein der Möglichkeiten. Bei der Einführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle vermuteten auch manche, dass nun alle ständig blau machen. Machen sie aber nicht, im letzten Jahr gab es beispielsweise die geringste Zahl an Krankschreibungen seit deren Einführung. Keine Studie hätte das verlässlich voraussehen können. Es sollte genügen, sich über die schlimmsten Risiken Gedanken zu machen und ansonsten ab und an auch etwas zu wagen. Außerdem könnte gerade das Grundeinkommen auch stufenweise eingeführt werden.

Skepsis wirkt klug, aber ist Handeln, wo etwas den Bach runter geht, nicht oftmals viel klüger? Kömmt es nicht manchmal wirklich darauf an, die Welt zu verändern? Die Arbeiterbewegung behielt in vielem dadurch recht, dass es sie als wirkliche solidarische Bewegung gab, nicht weil an der Mehrwerttheorie theoretisch so alles astrein gewesen wäre. Skepsis kann ja das komplementäre Laster zum Dogmatismus sein. Nein, wir haben kein Patentrezept, aber der Skeptiker ist doch, so schon der antike Vorwurf, eine Art nörgelnde Pflanze.

Fürs Archiv ein paar dokumentarische Fetzen, die mit dem oben Gesagten zu tun haben. Wir schreiben das Jahr 1969, die Gewerkschaften haben in monatelangen Streiks erreicht, dass tatsächlich die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall beschlossen wird. Enstprechend groß die Klagen, das werde nun das Gebäude zum Umfallen bringen, etwa vom Vorsitzenden der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Professor Dr. Siegfried Balke (ZEIT Nr. 24 vom 13. 6. 69). Ihm erwiderte Heinz Oskar Vetter, der damlige Vorsitzende des DGB folgendermaßen (ZEIT Nr. 28, 1969):


Alle Empfehlungen dieser Art verkennen den gewerkschaftlichen Auftrag gründlich und laufen letzten Endes darauf hinaus, die Gewerkschaften auf den Abweg einer blinden Anpassungsrolle zu locken. Es wird ignoriert, daß Gewerkschaften in der dynamischen Gesellschaft eine Doppelfunktion haben: auf der einen Seite sind sie aufgerufen, sich den vielfältigen Konflikten zu stellen, die sich im wirtschaftlich-sozialen Entwicklungsprozeß ergeben; hier liegt das Schwergewicht der Schutzpolitik, die von der Verbesserung des Arbeitseinkommens bis zur Sicherung des Arbeitsplatzes reicht. Auf der anderen Seite haben moderne Gewerkschaften aber immer zugleich auch eine Gestaltungsfunktion. Wenn sie heute für eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer, für einen Umbau der Bildungsund Ausbildungssysteme, für einen Ausbau der sozialen Sicherung und für eine wirksame Vermögensbildung eintreten, so ist damit ein Aktionsfeld umrissen, auf dem es zwangsläufig auch zu politischen Konfliktsituationen kommen muß.

Daß die Gewerkschaften bei solchen zukunftsgerichteten gesellschaftspolitischen Zielen nicht mit der wohlwollenden Unterstützung der Unternehmer und jener Kreise rechnen können, für die der jeweils bestehende gesellschaftliche Zustand mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung schlechthin identisch ist, braucht niemanden zu wundern. Die Gewerkschaften haben sich in einer mehr als 100jährigen Geschichte daran gewöhnt. Immer wenn sie ein neues Aktionsprogramm verwirklichen wollten, wurde ihnen entgegengehalten, daß sie damit das Wirtschaftswachstum und die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft mit dem Ausland zerstörten.

Das galt früher für die Einführung des Acht-Stunden-Tages und für die Begrenzung der Frauenund Kinderarbeit und gilt heute für die 40-Stunden-Woche, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Verlängerung des Erholungsurlaubs und die Einführung des Bildungsurlaubs. Bei allen diesen Forderungen wurde der Öffentlichkeit immer wieder eingeredet, daß damit der sogenannten „Wirtschaft" unzumutbare und untragbare Bürden auferlegt würden. Nachträglich haben sich jedoch bisher alle diese Prognosen als falsch erwiesen. Die Verwirklichung der gewerkschaftlichen Forderungen war im Gegenteil ein wesentliches Element zur Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität.


Bekanntlich wurde das Wirtschaftswachstum nicht zerstört. Leider aber haben die Gewerkschaften inzwischen viel verraten. Und vielleicht ist schon in Vetters Äußerung der Wurm: Die Verwirklichung der gewerkschaftlichen Forderungen war im Gegenteil ein wesentliches Element zur Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität. Was, wenn nämlich inzwischen auch die Gewerkschaften insgeheim glauben, dass nur Ausbeutung und Angst die gesellschaftliche Produktivität erhöhen? Produktivität ist ja eigentlich kein gutes Ziel, sondern wäre allenfalls geeignetes Mittel zu allerlei.